Heute Mittwoch wird es mit Sicherheit im Oberengadin ein wunderbarer Wandertag werden. Uebrigens der Erste im Monat Juli 2014.
0600 Uhr-Frühstück, Abfahrt 0700 Uhr; Von Zernez über St. Moritz bis ans Ende des Silsersee benötigen wir mit dem Auto etwa eine Stunde. Hier in Maloja-Cadlagh auf 1801 müM starten wir unser Bergtour Richtung Piz Lunghin auf 2780 müM.
Von allem Anfang geht es relativ steil bergauf. Langsam aber stetig steigen wir den Sonnenhang mit einer durchschnittlichen Steigung von etwa 30 % dem noch jungen Inn entlang hoch.
Ueberall plätschert das Schwarzmeerwasser in kleinen Rinnsalen zu Tal. Erst ab einer Höhe von etwa 2400 müM zwängt sich der Bergbach En zwischen Felsen zu Tal. Wir kommen dem Lägh dal Lunghin und damit der Quelle des etwa 1000 km langen Flusses Inn durch das Engadin immer näher.
Es ist etwa 1130 Uhr als wir den teilweise mit Eis bedeckten Lägh dal Lunghin auf 2484 müM erreichen. Mayestätisch blickt der 2932 Meter hohe Piz Grevasalvas dahinter auf den Lägh und uns herunter. Es scheint, als sei der gegenüberliegende Piz Lunghin mit seiner Schneekappe nur der kleine Bruder des Piz Grevasalvas mit seiner mächtigen Felswand.
Der Wegweiser beim See gibt uns eine Wanderzeit von 35 Minuten zum Pass Lunghin auf 2645 müM an. In westlicher Richtung auf einem anfänglich langsam steigendem Schneefeld stapfen wir weiter den Hang hoch. Immer wieder breche ich im Sulzschee ein oder mache zwei Schritte in die falsche Richtung talwärts . Schon lange schien es mir als sei Heidy mit ihrem Federgewicht den falschen Spuren gefolgt. Weiter rechts von einem Felsen habe ich nämlich eine das Couloir querende Spur entdeckt die eher zum Pass führt als unsere.
Auch links von uns quält sich ein kaum 10jähriges Kind mit seinem Vater das gleiche Schneefeld hoch. Es vermag dem grossen Vater mit seinen langen Schritten schon lange nicht mehr zu folgen, auch weil es zwar versucht in den langen Schritten des Erwachsenen zu stehen aber wegen ihrer Körpergrösse ständig abrutscht, sich wieder aufrappelt um weiter ihrem Erzeuger zu folgen.
Jetzt endlich merkt auch der Vorausgehende mit welchen Schwierigkeiten sein Kind zu kämpfen hat. Er hält inne, wartet das Eintreffen der Zehnjährigen ab und stapft von nun an mit kindgerechten kleinen Schritten den südwestlich von uns liegenden Schneehang hoch.
Wir sind nun gerade beim Queren des Coloirs als ich weit oben den Steinwurf eines Jugendlichen aus einer Gruppen von Frauen beobachte. Sofort mache ich mich in einem gehässigen Ton bemerkbar indem ich laut rufe: „Keine Steine werfen.“ Der Jugendlich löst sich aus der Gruppe und ist im Nu das Schneefeld herunter rutschend bei uns. Sofort entschuldigt er sich worauf ich ihn dahingehend aufzuklären versuche, das Steinewerfen im Gebirge sei ohnehin ein NOGO für Jedermann. Die zum Teil tödlich endenden natürlichen Steinschlag-Gefahren seien ohnehin hoch und müssten nicht noch mutwillig vergrössert werden.
Endlich wieder ohne Schnee geht es zügig die letzten 50 Meter steil hoch zum Pass da Lunghin auf 2645 müM. Ein Tagesziel ist erreicht. Von nun an geht es nur noch bergab ins 1300 Meter unter uns liegende Bergell nach Casaccia.
Auf den Eroberungszügen von Hannibal im 2. Punischem Krieg gegen die Römer zog er etwa 200 vChr mit einem Heer von 50‘000 Soldaten, 9’000 Reitern und 37 Kriegs-Elefanten von Norden her über den Septimerpass. Der Pass da Sett war auch Jahrhunderte später noch immer der kürzeste Transitweg von Nord nach Süd. Erst mit dem Bau der Oberen Strasse über Julierpass um 1800 und dem Bau der Maloja-Passtrasse verlor der Septimerpass sein Privileg der kürzesten Verbindung.
Die europäische Wasserscheide zum Nordmeer, zum Schwarzen Meer und zur Adria ist gut markiert. Auch ein Stein welche mit GPS-Daten, dem UNESCO-Jahr und weiteren Informationen aufwartet ist vorhanden. Auch ohne diese Tatsachen wäre mir allerdings bewusst gewesen, dass ich in meiner Trinkflasche „Schwarzmeer-Wasser“ mitführe, wenig später meinen persönlichen „Fäkalientank“ in Richtung „Nordmeer“ freigebe um kurz darauf die gleich Trinkflasche wieder mit „Adria-Wasser“ zu füllen. Allerdings hoffend, dass nicht andere Wanderer weiter unten Adria- oder Schwarzmeer-Wasser mit dem Nordmeerwasser vertauschen und damit Spuren meines Piss trinken.
Hinunter zum Pass da Sett oder Septimerpass auf 2310 an den zwei Eingängen der Sperrstelle Septimer aus dem 2. Weltkrieg vorbei sind wir wie im Flug. Schliesslich ist der grösste Teil des Weges wieder schneefrei und bis auf eine 6 m breite Passage problemlos. Hier bin ich aber etwas zu sorglos und prompt rutsche ich kurz ab und liege im Dreck.
Aufstehen und weiter zum Pass lautete die Devise. Hannibals Soldaten im 2. Jh vChr dürften davon ebenfalls nicht verschont geblieben sein.
Im Tal des Baches Aua da Sett kommen wir an einer wunderbaren römischen Brücke vorbei: Ist dies die Brücke wo der Ritter in französischen Diensten Ulysses von Salis um 1630 auf der Flucht vor den sieben Mordbrüdern vom Septimerpass sich verstecken musste? Durch einen Trick ist er seinem Schicksal entflohen und schliesslich heil in seinem Haus in Soglio im Bergell angekommen. Damals herrschten eben die „Bündner Wirren“ und damit grosse Rechtlosigkeit.
Auf der Höhe der Schlucht „Canch da Sett“ sehen wir ins Val Marox mit seinem stark wasserführenden „Maira“ Bach hinunter, wo gerade eine Vieherde von den fetten Alpen des Piz Piot zur Alp „Marox Dora“ auf knapp 1800 müM trotten.
Hier entdeckt Heidy ein in voller Blüte stehendes Alpenrosen-Feld was sie bewegt ein kleines Sträusschen zu pflücken und in einen Plastik-Sack zu packen. Getränkt mit nassen Papier-Taschentücher bindet sie den kleinen Strauss in eine Aussentasche ihres Rucksackes in der Hoffnung er komme mit ihr unbeschadet nach Hause.
Meistens hinter mir wandernd und an einer weiteren Römerbrücke vorbei müssen wir jedoch knapp oberhalb Casaccia auf 1459 müM feststellen, dass der liebevoll präparierte Strauss von Alpenrosen das Weite gesucht und auch gefunden hat. Nur noch der nackte Sack präsentierte sich in der Aussentasche.
Wo haben wir nur den schönen Strauss wohl verloren? Gleich 100 Meter weiter oben oder doch etwa in den Serpentinen des Pass da Sett? In Anbetracht unserer Müdigkeit nach immerhin etwa sieben Stunden Wanderzeit hatte keiner mehr Lust sich auf die Suche nach dem Strauss zu begeben. In etwas gedrückter Stimmung wanderten wir weiter talwärts wo wir gerade noch das 1800 Uhr Postauto in Casaccia erreichten welches uns schliesslich zurück zum Ausgangspunkt brachte.
7602 Bregaglia, Schweiz
7457 Bivio, Schweiz
7516 Bregaglia, Schweiz
7516 Bregaglia, Schweiz
Schweiz
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