Korruption in der Türkei

Die türkische Justiz ermittelt wegen Korruption gegen Ministersöhne und prominente Unternehmer. Regierungschef Erdogan wittert eine ausländische Verschwörung – wie bereits bei den landesweiten Protesten im Sommer.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat ausländische Botschafter für die derzeit laufenden Korruptionsermittlungen gegen regierungsnahe Kreise verantwortlich gemacht und ihnen mit der Ausweisung aus dem Land gedroht. Mit der «dreckigen Operation» solle seine Regierung vor der Kommunalwahl im März geschädigt werden, sagte Erdogan am Samstag. Unter anderem wurden im Zuge der Ermittlungen zu massiver Korruption und Schmiergeldzahlungen die Söhne von zwei Ministern der Regierung in U-Haft genommen.

Minister Recep Tayyip Erdogan

Minister Recep Tayyip Erdogan

Insgesamt sind in dem Skandal Berichten zufolge 24 Personen angeklagt. Neben den Söhnen von Innenminister Muammer Güler und Wirtschaftsminister Salih Kaan Caglayan sei auch der Chef der staatlichen Halkbank, Süleyman Aslan, in U-Haft, wie die Nachrichtenagentur Dogan am Samstag berichtete. Nach türkischen Medienberichten geht es bei den Ermittlungen um illegale Geldtransfers in den Iran und Schmiergeldzahlungen für große Bauprojekte.

Erdogan wurde auch in regierungsnahen Zeitungen mit derartigen Äusserungen zitiert. In den Blättern wurden Israel und die USA beschuldigt, hinter den Ermittlungen gegen das Umfeld der Regierung zu stecken. Die US-Botschaft bezeichnete die Anschuldigungen als «Lügen und Verleumdung». «Niemand sollte die türkisch-amerikanischen Beziehungen durch haltlose Anschuldigungen in Gefahr bringen», teilte die US-Vertretung über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.

Bereits bei den Protesten gegen die Regierung im Sommer hatte Erdogan ausländische Kräfte beschuldigt, die Menschen im Land angestachelt zu haben. Viele Türken glauben auch, dass der in den USA im Exil lebende Prediger Fetullah Gülen hinter den Razzien steckt. Er hat in seinem Heimatland immer noch großen Einfluss.

Rund 500 Menschen demonstrierten am Samstag in der Hauptstadt Ankara und forderten einen Rücktritt der Regierung. Zu Protesten kam es auch in Istanbul und Izmir.

Nachtrag vom Donnerstag, 26. Dezember

Noch nie wurde der türkischen Regierung Korruption so detailliert wie jetzt vorgeworfen. Die Ermittlungen der Justiz zeugen von einem Machtkampf im islamischen Lager. Am Mittwochabend tauschte Erdogan zehn Minister aus. Ein Rücktritt des Premiers scheint nicht mehr ausgeschlossen.

Der gegenwärtige Konflikt ist weniger bildstark als der Aufruhr vom Sommer – aber um ein Vielfaches existenzieller. Er könnte die türkische Politik über Jahre hinweg verändern. Gerüchten zufolge bereiten türkische Behörden eine zweite Verhaftungswelle vor. Auf der Liste der Verdächtigen sollen auch zwei enge Verwandte Erdogans stehen.

Den Aufstand der Zivilgesellschaft im Sommer tat Erdogan, den Kritiker „Sultan“ nennen, als Protest einer marginalen Gruppe ab. Nun aber erwächst ihm ein mächtiger Feind im eigenen Lager: Für die Verhaftungswelle infolge des Korruptionsskandals werden Anhänger des türkischen Predigers Fethullah Gülen verantwortlich gemacht – lange Zeit ein wichtiger Verbündeter Erdogans.

Gülen lebt im Exil in den USA. Seine Anhänger haben weltweit Schulen, Medienhäuser, Kliniken, Unternehmen gegründet – unter anderem auch in Deutschland. Die Gülen-Gemeinde (Türkisch: Cemaat) präsentiert sich der Öffentlichkeit als zivilgesellschaftliche Bewegung, die sich vor allem für Bildung einsetzt.

Doch das ist bestenfalls die halbe Wahrheit: Aussteiger beschrieben die Gülem Gemeinde als Sekte, als eine türkische Version von Scientology – hierarchisch, islamistisch, politisch.

Gülen und Erdogan hatten lange Zeit erfolgreich zusammengearbeitet. Gemeinsam rangen sie ihre größten Feinde nieder: Das türkische Militär und die säkulare Opposition.

In den vergangen Monaten jedoch begann die Allianz zu bröckeln. Erdogan entließ Unterstützer Gülens im Beamtenapparat von ihren Posten. Gülen-Anhänger in der Justiz gingen erfolglos gegen den türkischen Geheimdienstchef Hakan Fidan vor, einen wichtigen Vertrauten des Premiers. Mitte Dezember kündigte Erdogan schliesslich an, Nachhilfezentren der Gülen-Bewegung schliessen zu lassen. Die Einrichtungen sind eine wichtige Finanzquelle der Gemeinde.

Folgt nun die Rache von Gülen-Anhängern an Erdogan?

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